“Was du lernst kann dir niemand wegnehmen”
Original schwäbische Küche hat Burhan Sabanoglu vom Murrhardter Hof zum bekanntesten türkischen Wirt in Stuttgart gemacht. Lernen, und zwar jeden Tag im Leben, ist eines seiner wichtigsten Rezepte. Von der Kochlehre im Istanbul der 60er Jahre bis zum Interview mit dem Nachrichtenmagazin Spiegel: der lange Weg von Burhan Sabanoglu in die Mitte der Stuttgarter Gesellschaft.
Kapitel 1 : Angekommen
Eigentlich könnte sich Burhan Sabanoglu bequem zurücklehnen. Auf dem Stuhl draußen an der Hauswand vom Murrhardter Hof. Er könnte „auf dem Bänkle“ in aller Ruhe die Flaneure taxieren und seinen Gästen zuschauen, wie sie den Sommer unter den schattigen Platanen vor seiner Traditionsgaststätte genießen – mit Kartoffelsalat, Spätzle, Maultaschen, Zwiebelrostbraten und all den anderen schwäbischen Leibgerichten, deren Rezepte Burhan in diesem Buch weitergibt.
Aber „nichts tun“ – das kann Burhan einfach nicht. Dabei hat er doch schon alles geschafft, was ein tüchtiger Wirt schaffen kann. Er hat seine dritte eigene Gastronomie zu einem sehr gut besuchten Treffpunkt für alle gemacht, die mitten in Stuttgart richtig gutes schwäbisches Essen wollen. Zu ihm kommen sie alle. Die Jungen zusammen mit neugierigen Stuttgart-Gästen, die rüstigen und immer fröhlichen Stammgäste, über die Stadt hinaus berühmte Menschen: Man kennt Burhan in der Stadt, die die seine geworden ist.
Alles, was an Ruhm und Anerkennung für einen Wirt nur denkbar ist – er hat es erreicht .
Keine Auflistung original schwäbischer Küche in der Landeshauptstadt, keine Artikelserie über gelungene Integration, die ihn auslassen würden. An den Wänden im Murrhardter Hof ist für neue Zeitungsausschnitte schon gar kein Platz mehr.
Eine Zeitung der Stadt hat Burhan stolz zu ihrem eigenen Jubiläum eingeladen – ihn, der doch schon “für Gorbatschow und Lothar Späth” gekocht habe. Als ob erst die zwei Burhans Maultaschen zur Legende gemacht hätten! Der Spiegel, immer noch Deutschlands wichtigstes Nachrichtenmagazin, hat Burhan zusammen mit seinem Sohn Fuat im Sommer 2017 sogar für zwei Tage zum Interview nach Hamburg eingeflogen.
Burhan Sabanoglu freut sich still über diese Anerkennung. Das war es dann auch. Nichts ist ihm fremder, als etwas anderes sein zu wollen, als das, was er tatsächlich ist: Ein herzlicher Familienmensch, ein vernünftig wirtschaftender, freundlicher Gastgeber und vor allem ein guter Koch
Kapitel 2: DIE HERKUNFT
“Was sollte ich denn da die ganze Zeit”
Burhan Sabanoglu ist vom Dorf. Geboren ist er 1944 in Azdavay, einem Flecken mit vielen Holzhäusern und damals vielleicht 1200 Einwohnern, gelegen in der anatolischen Provinz Kastamonu. Dort leben die Mutter Azime und der Vater Izzet als einfache Landleute. Burhan wächst zusammen mit seinen Brüdern Bilal und Mustafa und der Schwester Fatma auf. Die Landschaft dort ist hügelig und bewaldet. Das nahe Schwarze Meer sorgt mit Regen und auch reichlich Schnee dafür, dass sie immer grün bleibt.
In diesem anatolischen Schwarzwald langweilt sich der aufgeweckte Knabe Burhan ziemlich bald. Herumlungern mit Gleichaltrigen und immer nur Fußballspielen, das war ihm schon früh nicht genug. „Was sollte ich denn da die ganze Zeit?“, erinnert er sich an seinen damaligen Gemütszustand. Nein, in die Welt aufbrechen wollte er. Es gab jetzt, in den 50er Jahren immer bessere Asphaltstrassen in der Türkei. Über sie holte einer der größten NATO-Armeen ihre Rekruten in Kasernen, die fast immer in weit entfernten Landesteilen lagen.
ZÜ Verlockung Großstadt
Aber die Strassen waren auch die Adern, über die immer mehr Menschen den Weg in die nun schneller pulsierenden Großstädte der Türkei fanden. In den neuen 302er Mercedes-Bussen der lokalen Busgesellschaften waren Ankara bald nur noch drei, Istanbul nur noch sieben, acht Stunden von Kastamonu weg. Was für eine Verlockung!
Einer der Onkel war ja schon weg. Er führte sein eigenes kleines Kaffeehaus in Ankara. Der kleine Burhan war noch nicht einmal 13 Jahre alt, als er genau dorthin zum ersten Mal ausbüxte – mit der fixen Idee im Kopf, sich beim Onkel in der Küche bestimmt nützlich machen zu können. “Mir war klar, dass ich nie etwas anderes werden wollte als Koch”, sagt er zu der früh empfunden Berufung.
Der strenge Vater hat dem Jungen den Gedanken energisch ausgetrieben. Als Burhan 16 wurde, konnte ihn aber nichts und niemand mehr aufhalten. Der Bursche fährt nach Istanbul. Dort hält er bald stolz seine erste offizielle Arbeitserlaubnis in Händen.
Kapitel 3: Istanbul – Die Welt der Großen
Istanbul in den frühen 60er Jahren ist eine ganz andere Stadt als die heutige Metropole. Sie zählte gerade einmal zwei oder drei Millionen Einwohner. Aber so genau wusste das niemand. Wie heute, wo die Stadtbewohner Gäste mit der Zahl von 18, 20 oder auch 25 Millionen beeindrucken könne. Der Dörfler Burhan lernt schnell, wie man sich in der Großstadt orientiert. Er findet Hilfs- und Gelegenheitsjobs. Natürlich in der Gastronomie. Es gab ja in Istanbul immer irgendwo Leute aus dem heimischen und dafür berühmten Kastamonu, die ein Restaurant betrieben. Oder die jemanden kannten, der das tat. Oder zumindest jemanden, der da schon in der Küche arbeitete.
“Was Du lernst, kann Dir niemand wegnehmen”
Ipek Palas – Seidenpalast – nennt sich stolz das erste Restaurant, in dem der junge Burhan dann erstmals länger angestellt wird. Er muss dort nicht lange warten, bis der Küchenchef erkennt, wie flink und wissbegierig der junge Helfer ist. Burhan rückt im Rang nach oben. Er nutzt die neue Chance als Commis vor allem, um am Herd besser zu werden. “Was Du lernst, kann Dir niemand wegnehmen”, fasst er seine damals entstandene Maxime heute zusammen.
Es ist dann natürlich wieder ein Freund aus Kastamonu, der für Burhan einen heißen Tip hat. Er solle sich doch bei einem englischen Geschäftsmann als Privatkoch bewerben. Prompt bekommt Burhan die Stelle im Stadtteil Maçka, in dem viele Geschäftsleute und hohe Beamte ihre Häuser haben, in denen sie ohne anatolisches Hauspersonal nicht auskommen wollen. Für Burhan ist das ein Fortschritt, vor allem finanziell. Als angestellter Jungkoch bekam er im magere 150 alte türkische Lira, also ganze 16 damalige US-Dollar. Die hat er schon lange verglichen mit den 150 Lira Tagesverdienst, die sein großer Bruder inzwischen im eigenen Restaurant im heutigen Nobelviertel Bebek machte.
Es ist dann das Jahr 1964, in dem Burhan zum obligatorischen Militärdienst einberufen wird. Die lange Zeit in der Kaserne nutzt er, um seinen englischen Grundwortschatz aufzubauen.
Als er nach Istanbul zurückkehrt bietet sich ihm eine große Chance. Er liest ein Inserat, in dem eine der feinsten Familien des Landes, nämlich die des früheren Ministerpräsidenten Suat Hayri Ürgüplü, einen Privatkoch sucht. Höchster osmanischer Adel im Wortsinn:. Der bekannteste Vorfahr war Nevşehirli Damat İbrahim Pascha, der war vor genau 300 Jahren Großwesir war, also zweitmächstigster Mann des Osmanenreichs. Er hatte sein kleines Heimatdorf zur Stadt Nevsehir ausgebaut und es auch noch geschafft, eine Tochter des Sultan Ahmets III. zur Frau zu nehmen.
“Wo kommst du her, was hast du gemacht, was kannst du?”
Wer die Tatsache der echten, gefühlten und demonstrativ praktizierten Standesunterschiede der türkischen Gesellschaft kennt, kann sich vorstellen, wie aufgeregt Burhan sein musste: Ihn, den 22jährigen jungen Kerl vom Dorf, empfing ein ehemaliger Ministerpräsident der Türkischen Republik höchstpersönlich zum Vorstellungsgespräch. “Wo kommst du her, was hast du gemacht, was kannst du?” Einfache Fragen, auf die Burhan dem Herrn Ürgüplü einfache und ehrliche Antworten gab. Er bekam die Stelle sofort. “Das Wichtigste ist, dass die Leute dir vertrauen”, fasst Burhan diese Lektion für das Leben zusammen.
Nun zog er also in den vornehmen und durch die großen privaten Gärten tatsächlich überall noch grünen Stadtteil Yesilköy, in der Nähe des Atatürk-Flughafens am Marmarameer gelegen. Hier hörte Istanbul damals wirklich auf. Heute hat man manchmal noch eine Stunde Stau vor sich, bevor man Richtung Westen die Stadtgrenze erreicht und die neuen Betontürme voller Eigentumswohnungen endlich aus dem Rückspiegel verschwinden.
Burhan hatte eine wunderbare Aussicht auf ein weitläufiges Gartengrundstück rund um das repräsentative mehrstöckige Wohnhaus der prominenten Familie. Er wohnte im Dachgeschoss, und zwar als einziger Angehöriger des Personals, das sonst in einem Kösk, einem eigenen Gebäude, auf dem Grundstück untergebracht war. Wenn Burhan keinen türkischen Mokka, keinen seiner besonders beliebten Sandkuchen und keinen nächtlichen Imbiss für Parlamentarier zuzubereiten hatte, weil der Hausherr und seine Familie in der Hauptstadt Ankara weilten, war er voller Stolz auch für die Blumen zuständig.
ZÜ: Die Großen grüßen Burhan
Für den jungen Mann war das ein kaum fassbarer sozialer Aufstieg. Jetzt lernte Burhan den Umgang mit den Mächtigen des Landes, den “Großen”, wie Burhan sie immer noch und auch in Deutschland nennt. Er lacht verschmitzt: “Sogar die Polizisten und Offiziere haben mich militärisch gegrüßt.” Er war jetzt wer. Manche seiner Leute aus Kastamonu kamen auf nun ihn zu, ob er nicht etwas für sie tun könne. Zum Beispiel iregndwo ein Wort dafür einlegen, dass der Sohn zum Militärdienst nicht in den heißen Südosten, sondern an die milde Ägäis abkommandiert wurde. Burhan tat, was er konnte.
Für eine kurze Zeit glaubte Burhan, dass er da wirklich dazugehört. Vielleicht in eine dieser besseren Familien einheiraten, vielleicht über diese neuen Beziehungen an eine Pacht kommen, das nötige Startkapital für ein eigenes Restaurant irgendwo am Bosporus aufzutreiben – waren das nicht reale Möglichkeiten, die er jetzt hatte? Burhan traute sich vieles zu.
“Yildiz Hanim, wie kann ich mein Englisch verbessern?”
Als Leibkoch des Ex-Ministerpräsidenten hatte er jetzt auch begehrte Gastauftritte in weiteren Familien von Generälen und reichen Kaufleuten. Und Talent hatte er ja, das wusste er. Nun wollte er sich auch persönlich weiterentwickeln. Eine Gelegenheit kam, als er im Nebenjob für die hochangesehene Inhaberin einer Sprachschule üppige Menüs für manchmal zwanzig und mehr Gäste zubereitete. “Yildiz Hanim, kann ich bei Ihnen für meine Arbeit nicht mein Englisch verbessern?”, wagte er eines Tages vorzuschlagen. Und die ebenso feine wie kluge Frau setzte den jungen Burhan dann für ein Trimester in eine der Klassen ihrer “High School”. Da saß er dann, bei ehrgeizigen jungen Offizieren, weitsichtigen Kaufleuten und schlauen Rechtsanwälten. Diese büffelten dort für eine große Karriere in der noch großartigeren europäischen Zukunft, die der Türkei genau zu der Zeit erstmals verheißen wurde.
Seine berufliche Zukunft verlor Burhan trotz aller persönlichen Aspirationen nicht aus den Augen. Er wollte als Koch weiterkommen. Jetzt, wo er doch ein Arbeitszeugnis mit der Unterschrift eines Regierungschefs hatte, standen im Wortsinn die Türen offen. Auch die des renommierten neuen Hilton Hotels. Kairo, Teheran, Istanbul – die amerikanische Kette setzte damals auf den Nahen Osten. Die Elite der Türkei liebte das große Istanbul Hilton und die höchsten westlichen Standards, denen sie dort als Gäste genügen konnten. Genau hier fand Burhan seinen Platz In der großen Küchenbrigade. An diese Zeit und seine damaligen Ausbilder erinnert sich Burhan heute noch gerne. Er ist stolz auf das, was er dort dazugelernt hat.
Kapitel 3: Ankunft in Deutschland
Und das rückt auch den Beginn der zweiten große Lebensphase Burhans ins rechte Licht: Er kam eben nicht als ungelernte Arbeitskraft nach Deutschland. Er war eine hervorragend qualifizierte, hochmotivierte und im Stillen auch sehr selbstbewußte “Fachkraft”. Das Hilton Hotel selbst hatte ihn auf den Weg geschickt, als gut vorbereiteten Teilnehmer eines Austauschprogramms für Köche, mit dem der türkische Hotel- und Gaststättenverband langfristig die Qualität der Gastronomie im eigenen Land verbessern wollte.
Burhan durfte von Glück reden, dass er überhaupt in Deutschland ankam. Vierzig junge Männer, jeder mit einem Koffer, einem Hundertmarkschein und viel Hoffnung ausgestattet, kletterten am 12. Juli 1969 frühmorgens am Istanbuler Taksim-Platz in den Bus nach Frankfurt am Main. Aber ganze elf von ihnen kamen drei Tage später dort auch an. Sozialistisches Bulgarien, Tito-Jugoslawien, neutrales Österreich, Freistaat Bayern: Bei jeder der Grenzkontrollen, die zu überstehen waren, fischten strenge Beamte einige der hoffnungsvollen türkischen Jungköche wegen vermeintlich ungültiger Papiere heraus und schickten sie auf die Heimreise. Burhan atmete jedesmal auf, wenn er die Grenzer hörte: “Sabanoglu: Papiere in Ordnung – weiterfahren!”
Erholung von der Anreise versprach dann das Kurhotel Viktoria im Odenwalddörfchen Lindenfels, Burhans eigentliches und erstes Ziel in Deutschland. Das gutbürgerliche Hotel empfing gut situierte Kurgäste aus Ludwigshafen, Mannheim oder Frankfurt. Im hellen Speisesaal und auf der Terrasse genossen sie die Blick auf die wunderbaren Hügel und über das Rheintal.
“Der Arbeitstag ging von halb neun morgens bis nach Mitternacht”
Burhan hatte vom Dachgeschoss aus, in dem er unterkam, kaum Zeit für den Blick auf eine grüne Landschaft.“Der Arbeitstag ging von halb neun morgens bis nach Mitternacht”, erinnert er sich. Burhan legte sich in Lindenfels mächtig ins Zeug. Verständigen konnte er sich auf Englisch. Und die kalten Platten und opulenten Büffets, die er ganz im Stil der Kochbücher der 50er wunderschön herrichtete, sprachen für sich selbst.
Als Burhan entdeckte, dass ein Lehrling neidisch und voller Tücke seine immer kunstvolleren Dekorationen heimlich zerstörte, ging nach acht Monaten die harmonische Zeit im Kurhotel zu Ende – mit einem wüsten Eklat. Natürlich hatte der temperamentvolle Burhan dem missgünstigen Jungen Prügel angedroht, wenn er ihn nochmal erwische. Dazu kam es aber nicht mehr. Burhan wurde vor versammelten Personal für seinen Ausbruch zurechtgewiesen und als “gefährlicher Türke” bezeichnet. Das brauchte er sich wirklich nicht gefallen lassen. Er kündigte bei nächster Gelegenheit von sich aus.
Kapitel 4: Neues Leben in Stuttgart
Wieder halfen ihm Freunde aus der Heimat, schnell eine Stelle zu finden. Und so landete er genau dort, wo vor ihm schon Tausende von Gastarbeitern den ersten Schritt in ein neues Leben in den Werkshallen und auf den Putzstellen des Schwabenlandes taten: Am Stuttgarter Hauptbahnhof. Burhan wurde Koch im Vorläufer des heutigen Intercity-Hotels. Das hieß damals Reichsbahnhotel und zu diesem gehörte auch das Turmhotel
Von der oberen Zimmern im Bonatzbau aus hatten die Gäste und auch Burhan 1971 eine wunderbare Aussicht – auf eine der zukunftsweisendsten Baustellen, die es damals in Deutschland zu besichtigen gab. Oben bleiben kam für die Stuttgarter Verkehrsplaner schon damals nicht in Frage. Sie verlegten die Straßenbahnen vor dem Bahnhof in die Tiefe und deckelten sie mit der unterirdischen Arnulf-Klett-Passage ab – einer bis spät geöffneten Einkaufssensation, auf die Stadt und Bürgertum mächtig sehr stolz waren.
Lange hielt Burhan die Baustellen am Bahnhof wohl nicht aus. Seine nächste Station war das “Höhenrestaurant Schönblick” am Killesberg. Das Lokal lag in einem Siedllungsbau am Weissenhof, den der sozialdemokratische und 1933 in die Schweiz emigrierte Architekt Karl Beer geplant hatte. Hier feierten die jungen Stuttgarter nach dem Krieg gerne ihre Abschlussbälle.
ZÜ: Schönheit aus vierzig Metern erspäht
Damenwahl wurde nun auch für Burhan so langsam ein ernstes Thema. Die nahe Verwandtschaft rief es dem 28jährigen und erfolgreichen Auswanderer immer öfter in Erinnerung. 1972 war es dann soweit. Burhan verdiente sich mit der Überführung eines neuen Fahrzeugs deutscher Herstellung in die Türkei etwas dazu. Zusammen mit einem Fahrer brachte Burhan aus der Daimler-Stadt einen tollen Dreier-BMW sicher nach Ankara. Natürlich schaute er bei seinem Onkel im “Kahvehane” vorbei, das einst sein Ziel gewesen war.
Und dort erspähte er dann einen neuen Traum: Schon aus “30 bis 40 Metern Entfernung”, wie Burhan lebhaft berichtet, fiel ihm Saadet auf, eine Schönheit, die sich da in der Nähe des Cafés aufhielt. Die kannte er doch noch vom Dorf, aus Azdavay! Die Gefühle nahmen ihren Lauf. Burhan wagte den Heiratsantrag an Saadet. Allerdings musste das den Segen der beiden Familien haben.
Nun gab es aber zwei Probleme zu lösen. Das erste war, die Hochzeit zu finanzieren.Mit mehreren der in Deutschland nun möglichen Kleinkredite und vielen Briefen rang Burhan seinem Vater die Zustimmung ab. Das zweite Problem war nicht minder gewichtig: Die Braut fand Burhan einen charmanten Mann und herzensguten Menschen, verschwieg aber nicht, dass ihr der mögliche Bräutigam etwas zu korpulent sei. Das Problem löste Burhan im fernen Deutschland mit eisernem Willen: Innerhalb von sechs Monaten nahm er 15 Kilogramm ab und hatte am Hochzeitstag nur noch unvergessliche 75 Kilogramm Eigengewicht. Gefeiert wurde im März 1973 in Ankara. Das Hochzeitsauto aber war wieder kein Mercedes, sondern ein Jaguar.
“Meine Kochkenntnisse sollten doch nicht bleiben, wie sie waren”
Das war auch die Sorte Fahrzeug, die meist vor dem “BB-Club” mitten in Esslingen parkte. Dessen Chef Wolfram Berner stellte Burhan als Alleinkoch ein. Die Aufgabe, die Esslinger Lokalprominenz und sonstige illustre Gäste des Treffs kulinarisch auf höchstem zufrieden zu stellen, erledigte Burhan mit Bravour. Er hätte da länger bleiben können. Aber wieder trieb ihn ein bekanntes Motiv zur nächsten Stelle: “Ich konnte mich als Alleinkoch doch nicht weiterentwickeln, meine Kochkentnnisse sollten nicht bleiben, wie sie waren.”
Den “Ratskeller”, direkt unter dem neuen Rathaus, im Herzen Stuttgarts führte ab 1973 die energische und einnehmende Stuttgarter Wirtin Maria Greiner. Das war ein Betrieb, so richtig nach Burhans Geschmack: Ein französischer Küchenchef, 200 bis 300 Essen am Tag, und für die Empfänge im Rathaus oft üppige kalte Platten. Von denen erholten sich Stuttgarts legendärer Oberbürgermeister Arnulf Klett und sein Nachfolger Manfred Rommel am Tag danach gerne bei Bratwurst und Kartoffelsalat.
Burhan wechselte dann noch einige Mal die Stellen. Gute Köche waren einfach gefragt und er konnte sich immer verbessern. Denn die Gastronomie der Stadt wuchs mit den Einkommen der Menschen und dem weltweiten Wirkungskreis der Unternehmen in der Stadt, die immer mehr Geschäftsreisende anzog. Für diese war das Parkhotel war eine der ersten Adressen. Burhan war ab 1976 dort angestellt, wurde gar zum “Chefsaucier.”
Das Lernen ging weiter: Als Volontär lernte Burhan den Starkoch Siegfried Keck kennen und traf auch seinen großen Ausbilder vom Hilton in Istanbul wieder, den “Maitre” Keller, wie der dort respektvoll genannt wurde. Wirtin Maria Greiner holte Burhan dann als Küchenchef in ihr neue eröffnetes “Sommertheater” mit seinen 200 bis 300 Plätzen. Hier führte er nun Regie über ein Team von 15 bis 20 Leuten und begann, sein Wissen an junge Köche weiter zu geben. Engagements bei Alexander Laub und wieder bei Maria Greiner, die nun in den Hindenburgbau gewechselt hatte, folgten.
Zuhause hatte es inzwischen Zuwachs gegeben. Die Söhne wurden geboren: Izzet, Fuat und Emrah. Da war für den jungen Familienvater eine Stelle, bei der er auch abends einmal zuhause war, eine Erleichterung. Im Stammhaus vom “Feinkost Böhm”, damals über die ganze Stadt verbreitet, sorgte Burhan für die exquisite Qualität vorgekochter Delikatessen. Die holten die Stuttgarter gerne, “für daheim”, die Häuser und Wohnungen in Halbhöhenlage..
Kapitel 5: Das eigene Restaurant im Westen
Die Stuttgarter Gesellschaft konnte man aber auch im Bierhaus West treffen, einer weiteren und sehr wichtigen Station für Burhan. Das Restaurant liegt zwischen Diakonissen-Krankenhaus und Hoppenlau-Friedhof. Hier feierten Stuttgarts Industrieleute, die in den 80er Jahren ihre globalen Erfolge kaum glauben konnten. Zu Burhans köstlichem Hochripple tröpfelte nicht mehr Trollinger, sondern es floß schwerer Bordeaux. Zu Burhans Erstaunen auch der aus Flaschen, die mit 2000 Mark auf der Karte standen. Kein grämlicher Controller oder Steuerprüfer wagte damals, etwas gegen Lokalrunden bei Geburtstagen und üppige Weihnachtsessen, die auch bis um vier Uhr nachts dauerten, einzuwenden.
Rechnungen aufzuteilen kam für niemanden in Frage. Nicht einmal für die Anwälte, Notare und anderen Notabeln, die sich bei Gelagen im Bierhaus West einen direkteren Zugang zur Industrie versprachen als über die teure Mitgliedschaft im Tennisclub Weissenhof. Eine sportliche Figur – das war ja damals ohnehin nicht das Ideal von energischen Tatmenschen, die im Ausland eine Busproduktion zum Laufen und in Deutschland den 190er und eine angepasst gewichtige S-Klasse auf die Straßen bringen konnten. Als begeisterte Bierhaus-Gäste ließen sie Burhan hochleben, wenn “der Türk’ nach getaner Arbeit aus der Küche kam…
Burhans Bewunderer ermunterten ihn, als er ihnen den Traum vom eigenen Restaurant offenbarte. Doch nicht nur das. Als er daran ging, das erste Lokal im Stuttgarter Westen zu übernehmen, brauchte er mehr Startkapital als geplant. Er vermögender Stammgast traute ihm den Erfolg zu – und gab ihm ein ordentliches Darlehen. Einfach so, ohne lange Verhandlungen, ohne große Sicherheiten, ohne Zinsen – nur mit einem Handschlag und einem Blick in die Augen.
1994 also war es soweit, Burhan war Wirt im Riegraf, nur wenige Schritte von der eigenen Wohnung im Stuttgarter Westen entfernt. Hier wollte Burhan Sabanoglu mit dem Konzept einer traditionellen und gutbürgerlichen schwäbischen Küche in der Landeshauptstadt Stuttgart bestehen. Wie konnte das gelingen in diesem Stadtteil, der sich zu wandeln begann?
Es gab im Westen in den großen Mietshäusern der Jahrhundertwende immer noch die älter werdende Urbevölkerung aus bürgerlichen Familien, Arbeitern und Handwerkern, deren Kinder aber nun lieber ins Eigenheim in die Vororte zogen. Dazu waren in den 60ern die Gastarbeiterfamilien gekommen, die nie in Restaurants gingen, ihre Kehrwoche ordentlich machten und überhaupt kaum als nationale Gruppen bemerkbar waren. Die Häufung italienischer, kroatischer, griechischer und türkischer Namen im Stadtteil fiel erst auf, wenn für die Einschulung in der Schwabschule Klassenlisten erstellt wurden. Auf dem Pausenhof sahen übrigens Burhans Söhne manchmal die Lehrerin Katharina Sturm, die hier für dieses Buch geduldig Burhans ungeschriebene Rezepte notiert hat.
ZÜ: Hat Zwiebelrostbraten Zukunft?
Der Westen war und ist dicht besiedelt. Die Hausbesitzer machten das Beste aus den Dachgeschossen und Wäschekellern in ihren Jugendstilgebäuden und Nachkriegsbauten. So gab es in den neunziger Jahren Raum für neues Bildungsbürgertum, Architekten, Künstler und für viele Wohngemeinschaften. Bei Burhan um die Ecke eröffneten die ersten Szenelokale: Rote Kapelle, Rosenau, Riva und Merlin. Welche Zukunft sollten in diesem urbanen Biotop Maultaschen und Zwiebelrostbraten noch haben?
Sie hatten eine, so wie auch Burhan, als nun stolzer Inhaber des Riegraf. Die Tische dort waren bald immer besetzt. Zuerst mit den Stammgästen, die vom neuen türkischen Wirt erst überrascht, dann begeistert waren. Dann mit Gästen, die Burhan in seinen früheren Stationen überzeugt hatte. Dazu gehörten auch Prominente wie Lothar Späth, als Ministerpräsident clever genug zu wissen, wo Stuttgarts beste Maultaschen zu haben waren. Birgit Keil, die Primaballerina des Stuttgarter Balletts, machte die Compagnie auf eine schwäbische Alternative zum Italiener im hinteren Heslach aufmerksam. An der Prominenz, zu der auch die oder andere leibhaftige Miss Europe zählte, erfreuten sich die Stammgäste in der an Fleiß und Vermögen so reichen, an Glamour aber immer noch armen Stadt.
Das eigene Lokal bedeutete natürlich mehr Einsatz. Die Familie Sabanoglu stand voll hinter Burhan, dafür aber wie bei vielen Wirten oft hinten an. Aber in entscheidenden Momenten war Burhan Familienmensch. Was tun, wenn der Honorarkonsul und “Freund von Helmut Kohl” mitsamt seiner zwanzig Gäste aus dem nordischen Königreich, das er gebührend repräsentierte, schon ungeduldig auf das Hauptgericht warten – und dann das Telefon klingelt und der 18jährige Sohn dran ist? “Papa, ich habe hier gerade einen Unfall gebaut und jetzt brauche ich Deine Hilfe.” Für Burhan gab es da nicht viel zu überlegen. Er fuhr sofort los, seine Frau Saadet übernahm in der Küche das Kommando. Alles wurde gut, auch der Konsul blieb Stammgast.
Dass ihn die gemischte Nachbarschaft aus dem Westen schätzen gelernt hatte, merkte Burhan erst richtig, als er schon 1996 den Riegraf wieder aufgab und mit den “Schwäbischen Schlemmerstuben” seine zweite, weit größere Gaststätte am Stöckach eröffnete. Die Gäste folgten ihm tatsächlich in den Osten.
Kapitel 6: Anerkennung, Schwarz auf Weiss
Und es kamen neue Gesichter. Berühmte Leute aus Sport und Politik. Denn so langsam sprach es sich in der ganzen Stadt herum, dass bei Burhan der Kartoffelsalat einfach schmeckte wie bei der Mutter, Oma oder Tante auf der Alb, im Schwarzwald oder am Bodensee. Dort füllen Frauen zu Festen ganze Tröge mit dem schwäbisch-alemannischen Gold. Jeder, der schon imme hier lebt, weiß ganz genau, wie Kartoffelsalat schmecken muss. Und wer ihn macht, muss ihn hunderte Mal zubereitet haben oder noch genauso oft probieren, bis Festigkeit, Feuchtigkeit und Würze richtig stimmen. Erst dann wiederholt sich der Sinneseindruck einer schwäbischen Kindheit und sorgt für Seligkeit. Burhan erzielt mit seinem Kartoffelsalat die wohlige Wirkung tagtäglich in traumwandlerischer Sicherheit.
Er bekommt nun immer bessere Besprechungen in den Zeitungen.Dann übernimmt er 2006 den Murrhardter Hof. Der liegt dort, wo die enge Leonhardstraße, nachdem sie über knapp 300 Meter lang das gesamte Stuttgarter Rotlichtviertel dragestellt hat, in den weiten Wilhelmsplatz mündet. Das war eine gewagte Lokation. Es sollte ja noch einige Jährchen dauern, bis am Platz auch jüngere Jahrgänge erschienen und die wohl schon seit den späten 70er Jahren ununterbrochen trüb in die Abendsonne blinzelnden Stammgäste der nahen Bar Concha aufweckten.
Wieder ging Burhans Rechnung auf: Die Stammgäste waren entzückt, seine alten Gäste folgten ihm erneut, dazu kamen die Leute aus der neuen Umgebung. Und die Presse legte jetzt erst so richtig los: Türke, Maultaschen, Nähe Rotlichtviertel, VfB-Prominenz – das waren sogar für die Badische Zeitung in Freiburg und den Mannheimer Morgen interessante Stuttgart-Stichworte. Burhan lernte den Umgang mit den Fotografen. Er schnitt die Zeitungsausschnitte aus, hängte sie an die Wand und schaute dann aber doch lieber nach den Braten in der Röhre.
Seine berufliche Karriere und sein Weg in die Mitte der neuen Stuttgarter Gesellschaft fanden ihren Nachhall regelmäßig auch in Büchern und Artikeln zum Thema Integration, die nun – kaum, dass er vierzig Jahre in Deutschland arbeitete – Konjunktur bekamen. Soviel Anerkennung im Schwabenland tat und tut ihm gut. Sie ist für Menschen seiner geographischen und sozialen Herkunft nicht selbstverständlich. Er weiß das und bleibt lieber vorsichtig und bescheiden: “Ich habe eigentlich kein besonderes Ziel gehabt. Ich wollte meine Arbeit gut machen. Dass die Leute halt zufrieden sind.”
“Ich wollte nur meine Arbeit gut machen. Dass die Leute halt zufrieden sind.”
Genau das könnte er jetzt ja auch selbst sein. Für den richtigen Ruhestand gäbe es für Burhan zudem noch einen weiteren Grund. Er hat, was nicht jeder andere Wirt hat oder behält: Einen Sohn, der die Unternehmensnachfolge antritt. Und der es nicht nötig hat, einen Generationenkonflikt auszufechten. Fuat Sabanoglu würde es seinem Vater gönnen, kürzer zu treten.
Aber Burhan will ja immer noch etwas anderes. Mit nun über siebzig Jahren läßt er es sich nehmen, jeden Tag in aller Herrgottsfrühe mit dem Auto zum Einkauf aufzubrechen. Das ist seine Domäne geblieben. Einkauf ist für Burhan der Schlüssel zum Erfolg: “Ich muss immer wissen, wo ich die gute Ware kriege , und was die kosten darf.” Jeden Tag auf das Neue “studiere” er das, und ganz genau. “Gutes Fleisch einkaufen musst du lange lernen. Dabei ist es einfach.” Er lacht: “Ich verlange das Beste und bekomme auch den besten Preis.”
“Jeder kennt ihn da, das ist seine Welt”