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Thekla Walker: „Roadmap für eine zukunftsfähige H2-Infrastruktur“

Thekla Walter (MdL), Baden-Württembergs Ministerin für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft, über die Rolle der Wasserstoffwirtschaft für eine klimaneutrale und resiliente Energieversorgung.

Frau Ministerin, was bedeuten aus Ihrer Sicht Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologien für die Energiewende und den Klimaschutz, gerade vor dem Hintergrund der dramatischen Entwicklung der letzten Monate?


Das Land Baden-Württemberg hat sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2040 klimaneutral zu sein. Dieses Ziel lässt sich nur mit der konsequenten Reduktion von CO2-Emissionen in allen Sektoren erreichen und das unter anderem mit der Nutzung von grünem Wasserstoff als einer der Säulen der Energiewende – neben dem Ausbau der erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz.
Grüner Wasserstoff zeichnet sich besonders durch seine vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten aus. Egal ob zum Antrieb von Flugzeugen, Schiffen und Schwerlastfahrzeugen, bei der Verstromung in Kraftwerken, in der Chemieproduktion oder bei der stofflichen Nutzung, um beispielsweise Kunststoffe, Arznei- oder Düngemittel herzustellen – Wasserstoff ermöglicht es, all diese Prozesse klimaneutral zu gestalten. Grüner Wasserstoff trägt damit auch dazu bei, unsere Wirtschaft langfristig resilienter und unabhängiger zu gestalten. Zudem kann Wasserstoff eine wichtige Energiespeicherfunktion im zukünftigen Energiesystem übernehmen.

Wie sehen Sie die Versorgungssicherheit bei Wasserstoff – wie die zeitlichen Perspektiven für eine Wasserstoffwirtschaft auf der Basis grünen Wasserstoffs?

Der russische Angriffskrieg hat uns deutlich gezeigt, dass eine diversifizierte Energieversorgung von entscheidender Bedeutung ist, um Abhängigkeiten zu verringern und die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Als Landesregierung streben wir deshalb mittel- und langfristig auch eine auf Diversifizierung ausgerichtete Wasserstoffversorgung an. Der Import wird dabei jedoch eine maßgebliche Rolle spielen müssen. Wir setzen hier auf eine enge Kooperation mit dem Bund sowie auf eigene Energiepartnerschaften etwa mit Schottland, den Niederlanden und Andalusien.
Entscheidend für eine ausreichende und kostengünstige Versorgung ist der Aufbau einer Wasserstoff-Pipelineinfrastruktur. Deshalb begrüßen wir die Entscheidung der Bundesregierung für den Bau eines Wasserstoff-Startnetzes bis zum Jahr 2032 und erwarten, dass wichtige Leitungen nach Baden-Württemberg bereits in diesem Netz berücksichtigt werden. In der Übergangsphase bis zur Fertigstellung des Startnetzes – aber auch darüber hinaus – ist für uns vor allem die regionale Erzeugung von Wasserstoff wichtig. Daher fördern wir in einzelnen Vorhaben bereits Elektrolyseure zur Erzeugung von grünem Wasserstoff.

Ist das Land bei der Wasserstoff-Roadmap im Plan? Was sind für Sie Schwerpunkte der Initiativen und Förderimpulse des Landes zur Entwicklung und Förderung der Wertschöpfung in diesem Bereich?

Mit der Wasserstoff-Roadmap BW wurde ein Fahrplan veröffentlicht, der aufzeigt, wie Baden-Württemberg zu einem führenden Standort und Leitanbieter für Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologien werden kann. Der erste Fortschrittsbericht von Mai 2023 beschreibt die aktuellen Handlungsfelder und informiert über erfolgreich umgesetzte Maßnahmen. Mit rund 500 Millionen Euro unterstützen wir als Land wichtige Leuchtturm- und Demonstrationsprojekte. Als Beispiele möchte ich die IPCEI-Projekte zur Brennstoffzellentechnologie, die Forschungsfabrik „HyFab“, bei der es um die industrielle Produktion von Brennstoffzellen-Stacks geht, und die „Modellregionen Grüner Wasserstoff“, die wir im Rahmen des Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung fördern, nennen. Mit Fachdialogen, einer gemeinsamen Erklärung zur Infrastruktur sowie einer aktuellen Wasserstoffbedarfserhebung hat die Landesregierung zusammen mit den Akteurinnen und Akteuren aus Wirtschaft und Wissenschaft wichtige Schritte eingeleitet, um die notwendigen Infrastruktur in Baden-Württemberg aufzubauen. Diesen konzertierten Ansatz werden wir ebenso wie gezielte Fördermaßnahmen weiterverfolgen.

Bei der Förderung von Tankinfrastruktur – inwieweit ist das Land hier von Planungen des Bundes und der EU abhängig, inwieweit kann das Land auch international Impulsgeber werden?

Im Hinblick auf die Dekarbonisierung des Verkehrssektors spielt grüner Wasserstoff ebenfalls eine bedeutende Rolle. Ein Drittel des CO2-Ausstoßes des Verkehrs stammt von schweren Nutzfahrzeugen. Aufgrund der Reichweite von wasserstoffbetriebenen Brennstoffzellen-LKW ist Wasserstoff ein wichtiger Baustein, um den Schwerlastverkehr klimaneutral zu gestalten – bei uns in Baden-Württemberg, in Deutschland und in Europa. Deshalb ist es für uns entscheidend, dass eine Tankstellen-Infrastruktur für grünen Wasserstoff für schwere Nutzfahrzeuge entsteht. Mit unserem Förderprogramm „Lade- und Wasserstoff-Tankinfrastruktur für Langstrecken-Lkw (LWT)“ gehen wir hier als Land voran. Diese Tankinfrastruktur muss flächendeckend errichtet werden, deutschland- wie europaweit. Wir begrüßen grundsätzlich die Verordnung der EU-Kommission zum Aufbau einer Infrastruktur für alternative Kraftstoffe (AFIR). Aus der Perspektive des Landes ist die AFIR ein Schritt in die richtige Richtung. Im Strategiedialog Automobilwirtschaft (SDA) erarbeiten die zentralen Akteurinnen und Akteure aus Wirtschaft und Wissenschaft sowie die betroffenen Fachressorts unter Leitung von Ministerpräsident Kretschmann wichtige Positionen, die in Brüssel und Berlin vorgestellt und diskutiert werden.

Welche Anregungen wollen Sie in den Dialog mit Unternehmen und Wissenschaft einbringen, den die hy-fcell im September auf der Landesmesse organisiert?

Wir stehen vor großen Herausforderungen: Uns belasten die Folgen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine und der Corona-Pandemie sowie die Klimakrise. Zudem befindet sich das Land Baden-Württemberg als Automobilstandort in einer wichtigen Phase des Strukturwandels. So herausfordernd und schwierig diese Lage ist, so bietet sie uns auch die Chance, die Wende hin zu einer klimaneutralen und resilienten Energieversorgung erfolgreich zu vollziehen und als Hochtechnologiestandort von der Transformation zu profitieren. Baden-Württembergische Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Hochschulen sind schon heute führend in vielen Technologiebereichen, auch auf dem Gebiet der Brennstoffzellen- und Wasserstofftechnologien. Wenn wir weiter gemeinsam in Politik, Industrie und Wissenschaft diese Herausforderungen angehen und die Innovationskräfte im Land nutzen, können wir den Strukturwandel positiv gestalten. Das bedeutet: Nachhaltig Arbeitsplätze schaffen, die Energieversorgung sichern und das Klima schützen.

Interview: Hans Gäng, August 2023