Der Weltbürger Albert Speer hat 2008 unserem Magazin “Consulting World” ein Interview über die Rolle der Stadtplanung in der weltweiten Urbanisierung gegeben. Statt eines Nachrufs dokumentieren wir das Gespräch, das Hans Seidenstücker mit Albert Speer geführt hat.
Wie würden Sie generell den Stellenwert der deutschen Architektur im Ausland bezeichnen?
Architektur ist nur ein ganz kleiner Teil. Wir sollten über Stadtplanung über Umwelt reden. Die Architektur steht nicht im Vordergrund. Wir haben als Deutsche in den vergangenen Jahren noch besser gewordenen Ruf. Deutsches Know-how, deutsches Wissen, deutsche Technologie, deutsche Organisation – gefragt ist, das ist mir den vergangenen Jahren immer häufiger aufgefallen – deutscher Städtebau, Umwelttechnik. Wir machen zu wenig aus unserem guten Namen. Wir sind zu wenig präsent. Wir sind nicht oft genug da – das gilt für die Regierung und die anderen auch. Du musst da sein.
Wir sollten über Stadtplanung, über Umwelt reden.
Warum ist das Interesse an Deutschland gestiegen? Zum einen sicherlich weil sich jetzt auch Staaten wie China, die Türkei und andere im Städtebau engagieren?
Das kann ich Ihnen auch nicht so ganz erklären. Ich glaub, ein Faktor ist, dass deutsches Know-how und das bescheidene Auftreten auf Dauer positiv aufgenommen werden. Und, wir haben keinerlei koloniale Vergangenheit. Wir sind nicht schon die Herren gewesen, zum Beispiel in Nigeria.
Ist das gute Planen, Konzeptionieren wirklich ein deutsches Alleinstellungsmerkmal?
Es gibt keine Alleinstellungsmerkmale mehr. Wir sind in einer vernetzten internationalen Welt. Ich glaube, dass es darauf ankommt, das man Vertrauen kreiert, und das geht nur über Personen und Gesichter. Den Deutschen sagt man nicht zu unrecht nach: Wenn Sie etwas versprechen, halten sie das auch. Sie geben am Anfang weniger an, im Gegensatz zu den Amerikanern. Wir haben in Russland in der ersten Wettbewerbsstufe gegen ein großes amerikanisches Consulting-Unternehmen verloren, da die den Russen alles versprochen haben. Alles! Ein Jahr später sind die gar nicht mehr dabei, weil sie das nicht halten konnten. Und wir sind wieder drin. Das sind Beispiele.
Wie etabliert man solche Kontakte?
Die kommen immer mehr von alleine. Wir haben Anfragen auch übers Internet, zum Beispiel aus Kairo: „Wollt ihr was mit uns zusammen machen? Da gibt es eine Ausschreibung.“ Das ist eben über 40 Jahre gewachsen. Die Schwierigkeit, nicht zu wissen, wie wir die Gehälter im nächsten Monat zahlen – das haben wir alles hinter uns. Oder das Auslandsgeschichten gefloppt waren oder nicht bezahlt wurden von Auftraggebern. Wir sind natürlich vorsichtiger geworden. Nach vier, fünf Jahren kann man nicht erwarten, dass man dann da draußen einen Namen hat, sondern das entwickelt sich sehr langsam.
Über eine ständige Präsenz vor Ort unter anderem?
Über Arbeiten, über Präsenz vor Ort, über Kontakte, die sich dann etablieren. Wir arbeiten zum Beispiel in Saudi Arabien bis heute ohne Sponsor. Also das ist wirklich ein ganz ganz wichtiges Thema. Kontakte pflegen. Da muss man was investieren.
Also die Türöffnerfunktion, zu sagen, wir haben einen deutschen Stadtplaner, der plant eine Stadt und der bringt dann rein deutsche Ingenieurbüros, die im Detail Abwasserplanung machen, und dergleichen mehr, funktioniert nicht?
Das versuchen wir schon. In China zum Beispiel dürfen wir nur Vorplanung machen. Sobald es genehmigungsrelevant ist, machen es die Chinesen selber. Wir haben gerade einen Wettbewerb für ein Verwaltungsgebäude in Changchung gewonnen. Da haben wir mit den Chinesen zusammen die Vorplanung gemacht und jetzt, die Ausführungsplanung, macht das Designinstitut in Changchung.
Wie sieht das Modell für Sie aus?
Es bleibt uns gar nichts anderes übrig. Wir versuchen Einfluss zu nehmen auf das was die machen. Manchmal funktioniert es, manchmal nicht in der Kooperation.
Wie lukrativ ist das Chinageschäft für Sie, wenn Sie nur das Vorgeschäft machen?
Lukrativ ist garantiert das falsche Wort. Das ganze Consulting-Wesen ist nicht lukrativ, sondern wir leben alle ganz gut davon. Aber es sind keine Reichtümer zu verdienen. Das war aber vor 30 Jahren nicht anders. Aber es ist äußerst interessant und es trägt sich auch. Deswegen haben wir ja eine Firma in Shanghai gegründet – nach zehn Jahren. Solange haben wir gezögert.
1968 haben Sie in Libyen das erste Auslandsgeschäft gemacht?
Ja, in Libyen. Da gab es noch keinen Gaddafi.
Haben Sie das gekriegt, weil Sie kein Italiener waren?
Das kann sein. Nein, nein, da waren andere Gruppen dabei. Eine dänische, eine griechische, eine amerikanische, eine englische.
War es Glückssache?
Ja, ja, das war Glückssache. Es war ein deutsches Unternehmen dabei, das die Kartierungen und Luftaufnahmen gemacht hat. Die haben gesagt, die dänische raus und den Speer rein.
Was haben Sie konkret geplant?
Wir haben für 40 Städte in West-Tripolitanien, mit Ausnahme von Tripoli, Flächennutzungspläne gemacht. Und für ganz West-Tripolitanien eine Art Regionalplanung. Das ist heute noch der Stand. Das Nächste war dann Algerien, ausgelöst durch Libyen. Ein deutscher Rechtsanwalt hat in Algerien studiert, als die noch den Franzosen gehörten, und den Widerstand unterstützt. Der hat mich gefragt. Das Projekt ging über acht oder zehn Jahre, mit 20, 30 Leuten mit Familien – mit allen Problemen.
Wie schnell sind Sie dann gewachsen?
Das ging rauf und runter. Als wir in Riad die Diplomatenstadt gewonnen haben, dann saß hier keiner mehr.
Man braucht auch noch was anderes – eine gewisse Neugier
Wie viel Know-how braucht man bei internationalen Projekten?
Das Know-how muss man sich in jedem Land neu aneignen. Aber man braucht auch noch was anderes – eine gewisse Neugier, sich mit dem Land, der Kultur auseinanderzusetzen. Du brauchst Engagement, was über Routine hinaus geht. Als ich anfing, das war abenteuerlich. Das war Risiko. Es war eine andere Welt. Für uns war das eine Chance, raus zu kommen. Ich hatte das Interesse immer schon. In den Semesterferien hatte ich in Schweden, in der Türkei gearbeitet. Gucken!
Was für ein tolles Erlebnis der europäische Städtebau ist, lernst du erst draußen richtig schätzen
Wie sehr war das Inspiration für die spätere Städteplanung?
Nach Deutschland kannst du wenig übertragen. Du bringst interkulturelle Sensibilisierung mit. Was für ein tolles Erlebnis der europäische Städtebau ist, lernst du erst da draußen richtig schätzen. Insoweit lernt man immer was. Für unsere Mitarbeiter ist es ein Riesen-Incentive, raus zu können. Einer unserer Chef-Architekten sitzt jetzt zum ersten Mal für vier Wochen in Shanghai. Mitmachen dürfen, das ist auch ein Teil der Gemeinschaft.
Deutsche Industrieunternehmen klagen über Ingenieurmangel. Wie sieht es in der Architekturbranche aus?
Da sieht’s auch schwierig aus. Wir suchen Leute. Aber natürlich Leute, die Englisch können, auch schon mal draußen waren. Junge Leute, von der Hochschule, finden wir genug. Was uns fehlt ist der Mittelbau mit sechs bis acht Jahren Berufserfahrung. Projektleiter. Da ist es schwer, Leute zu finden.
Welche Maßnahmen zur Rekrutierung treffen Sie?
Wir halten sehr gute Beziehungen zu den deutschen Hochschulen, besonders hier im Raum, also Darmstadt und Kaiserslautern.
Wie sehen Sie die Struktur der Branche? Zu kleinteilig?
International geht es immer mehr nach Größe. Weltbankprojekte oder andere geförderte Dinge werden schon in der Vorauswahl nach Größenordnungen selektiert. Bei denen haben wir keine Chance, wenn wir alleine auftreten. Aus diesem Grund müssen wir in Deutschland mehr zu Kooperationen kommen – egal in welcher Form. Ich glaube, dieser Trend geht weiter. Ich glaube aber auch, dass Spezialboutiquen wie unsere, die dann mitgenommen werden, auch ihre Berechtigung haben. Aber, wir brauchen Partner. Alleine kann man es immer weniger.
Ist China ein Paradies für Stadtplaner? Wo sonst können Sie eine Stadt für 300.000 Einwohner bauen?
Das ist nicht nur China. Im Niger-Delta planen wir gerade eine Stadt für 500.00 Einwohner. Der Verstädterungsprozess ist in der Dritten Welt in einer Phase, der immer noch am Anfang ist, verglichen mit Europa oder den USA. Das ist natürlich ungeheuer reizvoll. Da prügeln wir uns auch darum. Wir bewerben uns gerade in Kairo für eine Satellitenstadt für zwei Millionen Einwohner.
Der Stadtplaner kann nur auf Inseln etwas bewirken
Wie hoch ist die Gefahr, das sich die Fehler der Vergangenheit, wiederholen, indem Städte in China und der arabischen Welt sich gleichen?
Das ist keine Gefahr sondern Realität. Die Ansprüche der Menschen auf der Erde gleichen sich immer mehr an. Wohnung, Küche, Bad – Größenordnungen sind zwar noch unterschiedlich, aber werden immer ähnlicher. Das heißt Architektur, die Hüllen, in denen gehaust wird, werden immer ähnlicher. Der große Unterschied, falls es gelingt, könnte eigentlich die Stadtplanung sein. Also nicht das einzelne Gebäude, sondern der Stadtgrundriss oder das Umgehen mit der Landschaft, mit Flussläufen. Was können wir aus der Landwirtschaft alles erhalten oder weiterentwickeln. Dann bleiben Inseln übrig, in denen wir bauen. Die Kreativität ist die städtebauliche, stadtplanerische Entwicklung, von der Kultur angefangen, über die Landschaft, das Klima, die Erschließungsarten, das ist das, was die unterschiedlichen Arten in der Zukunft ausmachen wird – und nicht mehr das einzelne Gebäude. Da sehe ich große Chancen, das zu tun. Aber Sie können ja Shanghai oder Mexiko City nicht als einzige Stadt bezeichnen. Es wird Quartiere geben, die wachsen oder verkommen. Nur der Stadtplaner darf sich nicht einbilden, dass er das alles im Griff hat. Das hat er auf keinen Fall. Aber er kann auf Inseln etwas bewirken. Der Einflussfaktor eines Stadtplaners ist höchstens fünf Prozent.
Nach der Verstädterung ist sicherlich die Nachhaltigkeit die Herausforderung. Wie wichtig ist der Stadtplaner in der Etablierung dieses Themas?
Eine sehr sehr große Rolle. Wir bemühen uns, dieses überall und immer wieder zu predigen und in den Vordergrund zu stellen. Nur, ich nehme jetzt das Beispiel Russland, solange die Energiekosten so niedrig sind , dass es einfacher ist zu heizen und das Fenster auf zu machen, als einen anständigen Thermostaten einzubauen, können sie reden was sie wollen. In den USA ist es nicht viel anders. Das ist eine wirtschaftliche oder staatliche Steuerungsfrage. In China verbrauchen die Menschen in den Städten weitaus mehr Wasser als in Frankfurt. Nur die Hälfte des Wassers kommt überhaupt dorthin, wo es gebraucht wird. Und das Wasser kostet nichts.
Wie stehen Sie zu der Entwicklung in Dubai?
Das ist, glaube ich, ein heikles Interview. Also, ich habe da Riesen-Bedenken. Das ist ein riesiges Investitionsvolumen und geht in neue Dimensionen. Ich frage mich immer: Wo sollen denn die Menschen herkommen? Das Indien direkt vor der Haustür ist, das da Bevölkerung zuwächst, das kann ich mir ja alles vorstellen. Aber das muss ja auch jemand bezahlen. In großen Teilen bezahlt im Augenblick der Staat. Er hat es noch. Ich hab da immer ein ungutes Gefühl. Wir haben ja einen Masterplan-Vorschlag für Doha gemacht. Ich kenne Planungen in Dubai oder Abu Dhabi, das sind die Slums des 21. Jahrhunderts. Katar macht das nicht. Das ist halbwegs vernünftig. Die Wasserqualität geht in Dubai so rapide runter. Die Häuser sacken zum Teil schon wieder ab. Das ist Größenwahnsinn.
(Das Magazin Consulting World erschien in Kooperation mit dem Verband Beratender Ingenieure (VBI).