Ausgerechnet jetzt in Russland oder Belarus IT-Projekte aufsetzen? Thomas Titsch, Direktor ERP der Schneider Group – vormals RUSSIA CONSULTING – hält den Zeitpunkt für ein Engagement “für sehr geeignet”. Im Gespräch mit local global hat der IT-Experte seine Kriterien für die Standortwahl zur Diskussion gestellt.
Warum ist gerade jetzt die richtige Zeit, in Russland zu investieren – trotz der Spannungen?
Über die letzten Jahre ist das Thema Outsourcing und Offshoring von IT-Dienstleistungen zu mehr geworden als nur einem Trend. Keines der größeren und mittleren Unternehmen kann dieser Frage ausweichen, zumal es sich um eine bedeutende Möglichkeit der Kosteneinsparung handelt.
In den Anfangsjahren dachte man dabei in erster Linie an Länder wie Indien, die Philippinen und Malaysia. Jedoch sind inzwischen auch die Herausforderungen bekannt. Das ist noch nicht einmal so sehr die Sprachbarriere, sondern die kulturellen Unterschiede (was bedeutet „Ja“), die Zeitverschiebung und die schiere Entfernung. Man steigt nicht eben mal so ins Flugzeug, um in Kuala Lumpur nach dem Rechten zu sehen. Und mal ehrlich, wie effektiv kann man ein Team aus einer Entfernung von 10 000 km managen?
Die Idee, sich in Europa umzusehen ist nicht ganz neu. Jedoch sehen wir inzwischen, bedingt durch wachsenden Wohlstand und Lebenshaltungskosten, in Destinationen wie der Slowakischen Republik oder den baltischen Staaten Preissteigerungen, die das Sparpotenzial entsprechend einschränken.
Schauen wir also nach Russland: Im Jahr 2014 hat der russische Rubel unter einer über 40-prozentigen Abwertung gelitten. Das macht die Importe von Waren und Dienstleistungen nach Russland viel teurer und weniger attraktiv. Auf der anderen Seite werden lokale Dienstleistungen dank der Abwertung der russischen Währung viel attraktiver, weil die Gehälter und andere Kosten, in Euro betrachtet, entsprechend günstiger sind, auch wenn in Rubel eine recht hohe Inflation vorliegt.
Das politische Umfeld erscheint im Moment zwar nicht sonderlich stabil, jedoch ist es meines Erachtens gegenwärtig nicht das Ziel der Politik, die Beziehungen auf Null herunterzufahren. Die Sanktionen betreffen durchaus nicht alle Gebiete; IT-Dienstleistungen gehören nicht dazu. Auch Ende der Achtziger Jahre begann der Wandel mit wirtschaftlicher Zusammenarbeit.
Das heißt, westliche Unternehmen, die heute klug investieren, können auf gute Ergebnisse hoffen, insbesondere dank dem fast unvermeidlichen Wachstum ab dem Jahr 2017, wenn Russland sehr intensiv in die Vorbereitung der FIFA WM 2018 investieren wird, was die lokale Wirtschaft natürlich ankurbeln wird.
Und last but not least, wir reden ja nicht nur über Russland.
Warum denn ausgerechnet Moskau als Standort – mit den höchsten Preisen in ganz Russland und Osteuropa?
Russland ist ein Land mit einem extrem hohen Zentralisierungsniveau. Fast alles ist hier an Moskau gebunden – sogar die Energiekonzerne, die ihre Öl- und Gasquellen mehrere Tausend Kilometer entfernt von russischer Hauptstadt haben, sitzen oft in Moskau. Die Transportwege zwischen den russischen Regionen gehen sehr oft nur über Moskau. Auch die Kaufkraft der Kunden ist in Moskau am höchsten. Deswegen ist es für die Firmen, die ihre ersten Schritte in Russland machen, sehr wichtig, erst in der Hauptstadt ihren Fuß zu fassen. Natürlich, wenn es um die Produktion bestimmter Güter geht, die sehr nah an Verbraucher produziert werden müssen, dann muss man in die Regionen gehen. Aber für die meisten westlichen Unternehmen gilt immer noch der Regel: die Gründung der ersten russischen Tochterfirma muss in Moskau stattfinden.
Wenn also die Nutzer von IT-Dienstleistungen in Moskau sitzen, sollten auch die Dienstleister nicht zu weit weg sein. Prinzipiell muss das nicht direkt in Moskau sein. Jedoch hat Moskau nach wie vor die beste Infrastruktur im Land und ist als Agglomeration mit 15,1 Millionen Einwohnern fast so groß wie die Niederlande. Darüber hinaus zieht Moskau die besten Köpfe innerhalb Russlands an, für IT-Dienstleistungen ein nicht unerheblicher Umstand – seit der ersten Welle des IT-Outsourcing ist „Cost of poor Quality“ ja kein unbekannter Begriff mehr.
Und gibt es da wirklich keine alternativen Standort in Nachbarländer mit gleicher Sprache und Kultur?
Es wurde bereits gesagt, dass wir nicht nur über Russland reden. Man muss wissen, dass ab Januar 2015 durch die Eurasische Wirtschaftsunion mit den Mitgliedern Russland, Belarus und Kasachstan (und mit weiteren Beitritten von Armenien und Kyrgyzstan im Laufe dieses Jahres) ein ganz anderes Umfeld für westliche Investoren entstanden ist.
Mit der freien Bewegung von Waren und Dienstleistungen bietet die Eurasische Wirtschaftsunion für Unternehmen, die ihren Standort in einem der Mitgliedsländer haben, eine Möglichkeit an, alle Länder der Union ohne zusätzliche Zölle / Steuern zu beliefern.
Insbesondere Belarus ist hier für die IT-Firmen interessant. In Belarus ist eine Anmeldung der Firma in einem virtuellen „High-Tech-Park“ auch dann möglich, wenn das Unternehmen selbst sich an einem anderen Ort in Belarus befindet. Das Unternehmen kann dabei von einem extrem niedrigen Steuersatz profitieren – wenn die Firma im Hightech-Bereich arbeitet. Auch die Qualität der Arbeitskräfte ist in Belarus sehr hoch. Die Quote der Universitätsabsolventen in Belarus liegt bei etwa 25% der arbeitsfähigen Bevölkerung.
Ein weiterer Vorteil ist die geografische Nähe zu Europa – die Zeitdifferenz beträgt nur 1 Stunde zu Deutschland, was die Kommunikation zum Headquarter und das Management des Teams erleichtert. Auch kulturell gibt es weniger Probleme als mit anderen Lokationen. „Ja“ bedeutet dasselbe, wie in Deutschland auch.