Güler Sabanci steht für die moderne Türkei. Unternehmerischer Erfolg, zivilgesellschaftliches und politisches Engagement sind die persönlichen Markenzeichen der Vorstandsvorsitzenden des zweitgrößten türkischen, weltweit aktiven Konzerns. Bei der Mercator-Stiftung sprach sie 2012 über das unerschlossene Potenzial der deutsch-türkischen Beziehungen. Mustafa Sahin hat gut zugehört.
Ein Publikum im gepflegten Outfit in der Philharmonie der Ruhrgebietshauptstadt – an sich keine Seltenheit. Auch das Durchschnittsalter 50 plus ist in Deutschland ganz normal, auch hier, im Foyer des größten Konzerthauses im Ruhrgebiet. Es sind aber heute keine Musikklänge zu hören. Den Ton gibt die Vorsitzende der zweitgrößten Industrie- und Finanzgruppe der Türkei an. Güler Sabancı hält einen Vortrag. Die Mercator-Stiftung, eine der größten privaten Stiftungen in Deutschland, ist der Gastgeber. Vor Güler Sabancı waren auch Joschka Fischer und George Soros schon Gäste in Essen. Die unbestritten mächtigste Frau der Türkei und laut Financial Times sogar drittwichtigste Unternehmerin der Welt hat etwas zu sagen. Nicht zuletzt deshalb sind über 250 Gäste der Einladung gefolgt. Politiker aus Düsseldorf und Berlin, Geschäftsleute, Bildungsexperten, Medien, das ganze Umfeld der Mercator Stiftung.
Güler Sabancı ist als gute Unternehmerin natürlich nicht nur wegen wegen einesVortrags nach Deutschland gekommen. In Berlin nahm sie nebenbei eine Auszeichnung der European School of Management and Technology (ESMT) in Empfang. Die Ehrenkunde mit dem Titel Responsible Leadership Award bekam sie von keinem Geringeren als dem Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank, Josef Ackermann, überreicht.
Und vor ihrem Auftritt unterschrieb Güler Sabancı im Vorfeld des Events einen Vertrag über eine strategische Partnerschaft zwischen der Sabancı Universität und Stiftung Mercator. Ja, die Sabanci-Gruppe betreibt auch eine Hochschule. Sogar eine der angesehensten und renommiertesten des bildungshungrigen Landes. Die Sabancı Holding ist heute ein Konzern, der 65 Firmen kontrolliert, davon 12 börsennotierte. Die Gruppe ist in elf Ländern tätig, beschäftigt weit mehr als 45.000 Menschen und setzt jährlich rund 15 Milliarden Dollar um. Kurz: Ein Familienunternehmen, das zum Global Player geworden ist. Die Sabancı-Familie hält 78 Prozent der Holding.
Sabancı ist ein in der türkischen Wirtschaft und für die Türken allgegenwärtiger Familienname. Neben dem Namen Koçist er ein Synonym für Reichtum und Erfolg. Der eigentliche Schöpfer des Sabancı-Konzerns war der Onkel von Güler Sabancı, Sakıp Sabancı. Er war schon zu seinen Lebzeiten (1933 – 2004) eine Legende. Ein Mann von unermüdlichem Unternehmergeist, in der Bevölkerung beliebt und nur „Sakıp Aga“ genannt. Aus dem väterlichen Kleinhandel mit Baumwolle schuf er die zweitgrößte Industrie- und Finanzgruppe der Türkei. Er war ein volksnaher Mann mit markantem Kinn und lustigem zentralanatolischen Akzent, dem bei seinen Auftritten im türkischen Fernsehen so gar nichts von dem Klischee einer abgehobenen “weißen” türkischen Elite anhaftete.
In Essen spricht nun seine Nichte, natürlich auf Englisch. Sie hat sich nach einem Studium an der Bogazici-Universität mit der gleichen Energie wie der Onkel im Unternehmen engagiert. Sie widmete sich mit einiger Hartnäckigkeit und Erfolg über Jahre dem Reifen- und Kunststoffgeschäft des Konzerns. Rüdiger Frohn, der Vorsitzende des Beirats der Stiftung, macht in seiner Begrüßung deutlich, dass Güler Sabancı kennenzulernen heißt, die moderne Türkei besser kennenzulernen.
“Bildung und kulturelle Vielfalt sind Schlüssel zur Modernisierung
Als Güler Sabancı dann das Wort ergreift, geht sie zuerst auf die Rolle der Bildung beim sozialen Fortschritt ein: „Ohne Bildung stünde ich nicht hier vor Ihnen“. Das Engagement für Bildung sei auch die Brücke zwischen der Sabancı-Universität und der Stiftung Mercator. Gemeinsames Wirken soll die Bildungschancen der Bevölkerung in der Türkei stärken. Dieses trage wiederum zur Modernisierung des Landes bei – langfristig hätten beide Länder große Vorteile durch ein stärkeres Engagement in Sachen Bildung. Sabancı fordert das zivilgesellschaftliche Engagement, die verstärkte Aktivität von ausländischen Bildungseinrichtungen ein. Die Beteiligung, die Zusammenarbeit und der Austausch zwischen den inländischen türkischen und den internationalen NGO’s sei für die Modernisierung der Türkei von großer Bedeutung. Eine Beobachtung, die die Sabancı-Stiftung sowohl in den wirtschaftlich aufstrebenden Großstädten als auch in ärmeren Gegenden des Landes mache. Wie etwa in der ostanatolischen Stadt Mardin, wo die Stiftung ein neues Museum eröffnet hat. Güler Sabancı: “Dieses sichert die kulturelle Vielfalt dieser Stadt enorm.“
Sabancı gibt dem Publikum dann ihre Sicht auf den wirtschaftlichen Fortschritt der Türkei in den letzten Jahren und erinnert an die wirtschaftlichen Maßnahmen, die das Land nach einer gravierenden Wirtschaftskrise im Jahre 2001 zu ergreifen hatte. Entworfen und geplant vom ehemaligen Weltbank-Vizepräsidenten und Wirtschaftsminister Kemal Derviş, dem Sohn eines türkischen Vaters und einer deutschen Mutter, woran auch Sabanci erinnert. „Seine Pläne waren der Grundstein für die jetzige Entwicklung. Die damalige Regierung unter Ecevit und die Regierungen unter Erdogan haben sich an den Maßnahmenplan ohne Wenn und Aber gehalten. So dass wir letztes Jahr ein Wirtschaftswachstum von neun Prozent nachweisen können. Im ersten Quartal des Jahres hatten wir sogar elf Prozent Wachstum.“
“Es geht der türkischen Wirtschaft sehr gut”
Die wirtschaftliche Entwicklung der Türkei lobt die Chefin der Sabancı Holding genauso wie sie die Rolle der AKP-Regierung unter dem Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdoğan positiv würdigt. „Die Türkei ist volkswirtschaftlich sehr gut positioniert. Nun brauchen wir mikroökonomische Reformen. Meines Erachtens bietet sich der Sommer 2011 hierfür sehr gut an. Und wir haben ein gesundes Bankensystem. Türkische Banken haben einen sehr hohen Eigenkapitalanteil. Dabei sind wir sogar weltweit führend“, sagt Güler Sabancı nicht ohne Stolz. Zur Sabanci-Holding gehört auch die Akbank, eine der größten Banken der Türkei. Sie wird als einzige Bank in der Türkei und in der ganzen Region von einer Frau aus der Familie geleitet, Suzan SabancıDinçer.
Sabancı kommt auf die Rolle zu sprechen, die beide Länder für eine Stabilisierung der europäischen Wirtschaft spielen sollten. “Die türkische und deutsche Wirtschaft sind stabile und solide Inseln in Europa. Wir müssen aber mehr zusammen arbeiten. Der Kollaps Griechenland hätte eine große Ansteckungsgefahr. Europa wünscht sich mehr wirtschaftliche Stabilität.”
Güler Sabanci spricht sich für nachhaltige Lösungen in der Energiepolitik und eine enge deutsch-türkische Zusammenarbeit aus. Allerdings könne die Türkei auf die Atomtechnologie nicht verzichten, ohne ihren wirtschaftlichen Fortschritt zu gefährden. Der Verzicht auf die atomare Stromerzeugung sei für die Türkei, die noch keinen einzigen Atommeiler besitzt, nicht denkbar. Durch den Bau zweier Atomkraftwerke werde die Türkei ihre Energieversorgung sicherstellen.
„Der Weg zur EU-Mitgliedschaft ist wichtiger als die Mitgliedschaft selbst“
Im Podiumsgespräch mit Michael Thumann, dem Leiter der ZEIT-Redaktion für den Nahen und Mittleren Osten, äußert sich die Unternehmerin über die unterschiedlichsten Themen. Sie sieht die Türkei im gesellschaftlichen Wandel. „Fortschritt, Kultur, Entwicklung, Handel, Bildung und sogar Konsum macht für mich die Modernisierung aus. Ich beobachte in jeder Stadt eine dynamische Entwicklung. Die Reformen des Gründers der Republik Türkei in den 20ern und die Eröffnung der Türkei zur freien Marktwirtschaft in den 80er Jahren hat unser Land Europa näher gebracht.” Nicht zuletzt hat die Bestrebung der Türkei nach einer Vollmitgliedschaft in der europäischen Union eine neue Dynamik mit sich gebracht. Sabanci: “Doch ich halte den Weg zur EU-Mitgliedschaft für wichtiger als die Mitgliedschaft selbst. Denn wir entwickeln uns dadurch weiter“.
Dass trotz aller Unterschiede das Land zur europäischen Gemeinschaft gehöre, steht für Güler Sabanci außer Zweifel. Für eine Vollmitgliedschaft der Türkei insei keine Revolution, sondern eine Evolution nötig. “Und überhaupt: Die EU wird von einem Mitglied Türkei mehr profitieren als viele in Europa jetzt glauben wollen.” Die EU hätte hierdurch die Möglichkeit, eine globale Macht zu werden. Den jetzigen Stillstand in den Verhandlungen findet Güler Sabanci unerträglich. „Dass man in dieser Sache keine Fortschritte mehr macht, ist für viele Menschen in der Türkei nicht verständlich und ist nicht vermittelbar“
“Chancengleicheit ist überall eine Aufgabe, nicht nur in der Türkei”
Natürlich sind für Güler Sabanci auch die Frauenrechte in der Türkei ein Thema. Die Sabancı Stiftung habe einen ihrer Schwerpunkte bei der Mädchen- und Frauenarbeit. Ihre Stiftung soll ihnen eine Stimme verleihen und arbeite dafür, dass die Frauen in der Türkei sowohl in der Politik als auch in der Wirtschaft mehr Einfluss bekommen. Für Chancengleichheit müsse aber überall auf der Welt und nicht nur in der Türkei weiter gearbeitet werden.
Jetzt kommt sie auf ihren Onkel Sakıp Sabancı zu sprechen. „Ich bin ein gelungenes Beispiel für die Chancengleichheit“. Sie erklärt, dass sie sechs Brüder hat und da keiner von ihnen sich für das Geschäft so interessiert habe wie sie, sei sie eben von ihrem Onkel unterstützt worden. „Mein Onkel sagte zu mir: wenn du willst, kann ich für dich die ersten Türen öffnen. Es gibt aber im Geschäftsleben viele weitere Türen. Die musst du dann selber öffnen“. In Essen hat die Unternehmerin für die Türkei eine weitere geöffnet.