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Ulrich Dietz ist immer für Überraschungen gut. Die operative Führung der von ihm zu einem Global Player entwickelten IT-Dienstleister GFT hat er aufgegeben, um sich stärker auf seine Startup-Plattform code_n konzentrieren zu können.  Wir haben mit ihm im Spätsommer 2016 über die unternehmerische Navigation in einer “Welt aus den Fugen”  gesprochen.  

Ulrich Dietz, Vorstandsvorsitzender GFT Technologies SE

Herr Dietz, wir wollen mit Ihnen über die internationale Entwicklung Ihres Unternehmens nach der Krise sprechen…

Entschuldigung, welche Krise?

…also, wir meinen die gravierendste, die Finanzkrise von 2009.

Genau da liegt die Herausforderung: Wir befinden uns seit mehreren Jahren in einem permanenten, latenten Krisenzustand. Die Welt ist ein Stück weit aus den Fugen geraten. Und so wird es wohl auch noch eine Weile bleiben. Von der Finanzkrise bis zu den jüngsten Eruptionen in der Türkei – ständig neue Herausforderungen gehören zum Alltag. Für die Unternehmen heißt das, dass sie hochflexibel bleiben müssen. Natürlich haben wir langfristige Strategien und Projekte. Aber es kann jederzeit, schnell und überall zu Veränderungen kommen, zum Beispiel von einem sehr positiven zu einem stagnierenden oder negativen Umfeld. Darauf müssen Unternehmen reagieren, ohne gleich Mitarbeiter freisetzen zu müssen und ohne eine „Potato“-Strategie – also rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln – praktizieren zu müssen. Stattdessen gilt es, einen globalen Blick auf Ressourcen zu entwickeln, an vielen Standorten zu produzieren und zu verkaufen, um einzelne Probleme sinnbildlich “hedgen” zu können.

Sprechen wir doch einmal über bewegte Zeiten in einzelnen Märkten. Wie navigiert GFT durch die Krise in Brasilien, einem ihrer wichtigsten Standorte?

In Brasilien sind wir seit 2005. Damals haben wir es als Nearshoring-Standort aufgebaut, der sich als solcher aber regelrecht pulverisiert hat. Mit dem Erstarken der brasilianischen Währung war dieser Ansatz von der Kostenseite her nicht mehr attraktiv. Daraufhin haben wir hart daran gearbeitet, uns Brasilien als Markt zu erschließen. Das hat seine Zeit gedauert, aber mittlerweile haben wir ein von den Kunden respektiertes, lokales Management aufgebaut und können eine gute Entwicklung vorweisen. Auch die Währungsrelation hat sich wieder verändert – und so nutzen wir Brasilien zusätzlich auch wieder als Produktionsstandort für den nordamerikanischen Markt. Dieser ist für uns derzeit besonders attraktiv. Die Russland-Ukraine-Krise hat zu Verschiebungen in der US-amerikanischen Beschaffung in Richtung Lateinamerika geführt. Brasilien ist also ein sehr gutes Beispiel dafür, dass es sich lohnt, am Balli zu bleiben. Wir haben erst kürzlich erneut in Brasilien investiert: Mit der 2016 erworbenen Firma WG Systems (Habber Tec) haben wir neue Mitarbeiter und wichtige Kunden gewonnen – trotz Wirtschaftskrise. Mit unseren digitalen Bankenlösungen sind wir in Brasilien sehr gut aufgestellt. Mit rund 680 Mitarbeitern sind wir jetzt auch ein sehr anerkannter lokaler Partner geworden.

Und Spanien – sehen Sie hier Parallelen im Krisenverlauf?

Nein, die Entwicklungen in Spanien kann man nicht eins zu eins vergleichen. Das Platzen der Immobilienblase hat das Land hart getroffen. Die Krise hat sich außerdem geradezu gravierend auf den Arbeitsmarkt ausgewirkt. Es gab keine Lohnkostensteigerung, wie etwa in Brasilien und vielen weiteren Ländern. Die spanische Wirtschaftskrise hatte für die GFT jedoch auch einen positiven Effekt, weil wir Mitarbeiter vor Ort leichter finden und kostengünstig einstellen konnten. Wir haben in der Krise Weiterbildungs- und auch Hilfsprogramme für unsere Mitarbeiter und ihre Familien aufgesetzt. Das war die Basis, um unseren spanischen Standort weiter auszubauen. Spanien hat als globaler Entwicklungsstandort eine große Relevanz für die GFT. Die spanischen Banken stehen im Übrigen gar nicht so schlecht da, wie manche ihrer europäischen Wettbewerber. Ganz im Gegenteil.

Wir werden GFT in Spanien auch in Zukunft weiter ausbauen. Über GFT Iberia haben wir 2015 den Standort Mexiko neu erschlossen. Hinzu kommt auch die Präsenz in Costa Rica mit großem Wachstumspotential. Spanien wird für uns – vor allem global gesehen – immer bedeutsamer. Das ist das Ergebnis eines  langfristigen Engagements von mittlerweile über 16 Jahren. Auslandsgeschäft – das bedeutet langen Atem!

Was sind denn Kriterien dafür, dass Sie in einen neuen Markt eintreten? Gibt es da einen globalen Masterplan, dem sie folgen?

Lassen Sie es mich schwäbisch ausdrücken: Ein „Masterplänle“ ist die Basis. Dieser darf aber nicht in Stein gemeißelt sein, man muss ihn über die Jahre hinweg immer wieder den Entwicklungen anpassen. Über Polen hinaus standen für die GFT in Zentral – und Osteuropa lange die Ukraine, Russland, Bulgarien und Rumänien auf der Agenda. Letztlich haben uns die Entwicklungen in diesen Ländern jedoch abgeschreckt. Ganz ehrlich: Vielleicht haben wir dadurch die eine oder andere Chance verpasst, aber ich fühle mich heute sehr viel wohler, dass wir dort nicht massiv Ressourcen aufgebaut haben.

Das gilt übrigens nicht für Asien. Dort schauen wir uns regelmäßig um und werden auch früher oder später tätig werden. Aber wir sind nun einmal ein mittelständisches Unternehmen. Es ist nicht so, dass wir – wie die Branchenriesen – zig Millionen in einen neuen Markt investieren können. Wir müssen letztlich Geld verdienen. In Nordamerika haben wir zudem noch ein riesiges Potenzial, das wir bislang nicht ausgeschöpft haben. Auch das Geschäft in Europa läuft sehr gut. Unsere Produkte und Dienstleitungen sind sehr stark nachgefragt. Die Kunst besteht hier gerade manchmal darin, „Nein“ zu sagen und sich zu fokussieren, um die notwendigen PS auf die Straße zu bringen und nicht von einer Ecke in die nächste zu springen.

Wie finden Sie die Leute für die Expansion? Sie stehen im IT-Bereich ja durchaus im harten Wettbewerb mit den Branchenriesen – weltweit.

IT-Experten sind weltweit heiß begehrt. Nachhaltige Investments zahlen sich hier aus. Wir sind in vielen Ländern, wie etwa in Spanien, ein geschätzter und bekannter Arbeitgeber. Gerade in Krisenjahren haben wir positive Signale ausgesendet. Dieses Engagement trägt Früchte. Im Management bestärken wir die Länder in ihren individuellen Entwicklungen. Zu unterstreichen, dass Spanien das Silicon Valley Europas sei und dass wir dort nachhaltig investieren – das kommt als Botschaft im Markt an!

Man muss auch sehen: Wir sind in den Ländern keine klassische „deutsche“ Firma, die einfach ihr Korsett überstülpt. In Spanien sind wir ein spanisches, in England ein englisches und in Polen ein polnisches Unternehmen. Für uns ist die europäische Idee der absolut wichtigste Gedanke, den es zu verfolgen gilt. Wir tun alles, um diesen Gedanken auch im Unternehmen zu leben. Das spüren die Menschen, und deswegen kommen sie auch gerne zu uns.

Wie halten Sie die Teams über die Ländergesellschaften hinweg zusammen?

Wir haben einen gemeinsamen Ansatz – und zwar: One Company. Es gibt keinen Unterschied zwischen spanischen, brasilianischen, schwäbischen oder polnischen Mitarbeitern. Jeder hat seine Aufgaben. Wir schauen stets, wo wir die Aufgaben gut umsetzen können. Zum Beispiel stellen wir für unsere eigenen IT-Services Kollegen in Polen ein, die zu unseren verschiedenen Standorten reisen. Mit einem anderen Programm haben wir gerade Mitarbeiter aus Brasilien nach Spanien geholt, die dort ausgebildet und in Projekte integriert werden. Diese Kollegen gehen natürlich begeistert nach Barcelona. So wird das GFT Team eine bunte Mischung. Ich will überall gute Mitarbeiter haben und unabhängig von Standorten operieren können. Das macht uns flexibel im Geist und in der Denkweise.

Ist eine solche, globale Unternehmenskultur ein entscheidender Faktor im Wettbewerb um Talente?

Ja, die Mitarbeiter und gerade die jungen Leute finden unsere Internationalität schon ziemlich attraktiv. Das konnte man gerade wieder ganz deutlich spüren, als wir vor einigen Wochen unsere Niederlassung in Warschau eröffnet haben.Unsere Mitarbeiter weltweit freuen sich, auch zu unserem Hauptstandort nach Stuttgart zu kommen. Sie glauben gar nicht, wie wichtig dieser Standort heute für uns ist. Das, was wir hier in Stuttgart aufgebaut haben,  – der Innovationscampus CODE_n SPACES oder das SW34 Restaurant-Startup– all das hat einen unheimlichen Sog entwickelt. Internationale Meetings in dieser Atmosphäre finden die Leute toll. Wir tun Dinge, die mehr und anders sind, als ein klassischer Business- oder Masterplan von uns verlangen würde.

Wie wichtig ist CODE_n mittlerweile für die Identität der GFT?

Sehr wichtig. Warum bin ich Unternehmer? Weil ich etwas „unternehmen“ und nicht Dinge „unterlassen“ möchte. In der heutigen, immer globaler werdenden Welt ist es mein Ansporn Neues und Unerwartetes zu kreieren. Alles begann 2012 mit dem CODE_n Startup-Wettbewerb im Rahmen der CeBIT. Wir wollten zeigen, wie eine IT-Messe im 21. Jahrhundert aussehen muss, um für das Publikum attraktiv zu sein. Die Partnerschaft als auch die Resonanz in der Öffentlichkeit und bei den Kunden waren sehr positiv. 2015 hatten wir über 75.000 Besucher in der CODE_n Halle zu Gast. Mit CODE_n haben wir erfolgreich ein neues Format geschaffen – das wir 2016 nun zum ersten Mal eigenständig als Festival in Karlsruhe veranstalten. Aber wir sind keine Eventagentur. Ziel ist ein anderes: Ideen sind heute schnell erarbeitet, sie zu nutzen und Geschäfte damit zu machen, ist jedoch höchst komplex geworden. Es bedarf eines Netzwerks, in dem man sich gegenseitig unterstützt, gemeinsam Kräfte mobilisiert. Schwächen kompensiert, indem man voneinander lernt, neue Stärken generiert und so einen großen Wettbewerbsvorteil gewinnt. Dieses Potenzial haben wir von Anfang an gespürt und CODE_n ins Leben gerufen.

Meine Motivation ist es, das noch in viel größerem Umfang zu realisieren und global weiterzuentwickeln. Mit dem CODE_n new.New Festival adressieren wir auch gezielt die mittelständische Industrie in Baden-Württemberg. Sie können die Plattform nutzen, um den digitalen Wandel als Chance zu verstehen und erfolgreich zu nutzen. Deutschland ist eine Industrienation. Europa ist einer der spannendsten Teile der Welt. Da muss es doch möglich sein, dass wir Technologie so präsentieren, dass sie viele Menschen begeistert.

Das Interview ist erschienen in:

“Krise, welche Krise? Internationalisierung in bewegten Zeiten”
Ernst Leiste, Tassilo Zywietz, Hans Gäng
ISBN: 978-3-9817242-1-9 im Buchhandel oder bei Amazon